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"Mit 30 bist du draußen"Regenbogen-Balken

Die Kontaktanzeigen sind deutlich formuliert: "BBB (Bauch, Bart und Brille) zweck­los" heißt es da, oder es preisen sich ein "junggebliebener 30-Jähriger" und ein "50-jähriger Jeansboy" an. Schwul sein heißt, ewig jung sein zu müssen oder das Alter zumindest so lange wie möglich zu negieren. "Mit jeder Falte werden wir un­atttraktiver", meint Jürgen Droste. Der 56-Jährige ist Vorsitzender der Gruppe "Vier­zig plus", die sich jeden dritten Sonnabend im Monat in den Räumen des Vereins Homosexuelle Emanzipation Hannover (HOME) trifft.

"Meiner Erfahrung nach leben die meisten älteren Schwulen allein", meint er. An­dere lebten zwar in festen Partnerschaften, schotteten sich aber vollkommen ab, vielleicht aus Angst vor einem Dritten, der in die Freundschaft eindringen könne. Aber es gibt auch Gegenbeispiele: Zwei Mitglieder der Gruppe, 92 Jahre und An­fang 60, sind seit knapp 30 Jahren ein Paar.

"Die kommerzielle Szene ist ein Fleischmarkt", meint Droste, und der 45-jährige Jürgen pflichtet ihm bei: "In der Subkultur grassierten immer schon Jugendwahn und ein übersteigertes Körperbewusstsein." Der hannoversche Filmemacher Andreas, dessen Film über vier ältere Schwule "Vier Bären im Schnee" am 9. Juni auf N3 gesendet wird, zitiert den bösen Spruch "Mit dreißig bist du draußen", der in der Szene kursiert. Allerdings hat sich nach Meinung des Hamburger Historikers Hans-Georg Stümke in jüngster Zeit mit den "Jeans- und Lederkneipen" ein neuer al­tersgemischter Bartyp entwickelt.

Auch Heiner aus der "Vierzig plus"-Gruppe, der 40 Jahre seines Lebens mit einem Mann zusammengelebt hat, relativiert: "Wer sein Leben lang eher ein extrovertierter Typ war, hat es auch im Alter nicht so schwer mit neuen Kontakten." Statistische Un­tersuchungen gibt es allerdings nicht: "Wie Homosexuelle jenseits des 'sub-fähigen' Alters leben, darüber wissen wir wenig", erklärt Stümke.

Erschwert wird die Situation durch die deutsche Geschichte: "Es gab für ältere schwule Männer zwischen der Reform des Sexualstrafrechts 1969 und dem ersten Auftreten von HIV und AIDS gerade einmal 15 Jahre in ihrem Leben ohne Bedroh­ung", stellt eine Dokumentation des niedersächsischen Sozialministeriums "Le­benssituation älterer schwuler Männer" fest. "Mit 14 Jahren wusste ich, dass ich kriminell bin. Ich wollte nachlesen, was da genau steht im Paragrafen 175, aber ich hatte Angst, dass jemand merkt, wie ich das in der Bibliothek nachschlage", erinnert sich der 47-jährige Bernd.

In der Adenauerzeit wurden nach Information des 59-jährigen Wolfgang ebenso viele Homosexuelle verurteilt wie während der Nazizeit. "Wir haben nur wenige Vor­bilder, vor allem, was lang andauernde Partnerschaften angeht", beklagt Klaus. "Wir wurden doch alle heterosexuell erzogen und geprägt." Schätzungsweise 300.000 homosexuelle Männer ab 60 leben in Deutschland, davon viele verheiratet. "Wo sind die vier bis fünf Prozent Schwulen und Lesben aus der Statistik?" fragt sich Wolf­gang. "Der größte Teil von uns lebt doch immer noch versteckt." Immerhin: In seinem Heimatdorf weiß er von acht schwulen Paaren unter rund 8.000 Einwohnern.

Viele, vor allem ältere Homosexuelle, schleppen ihr Leben lang die negativen Er­fahrungen beim Coming-out mit sich herum. "Als ich es meinen Eltern sagte, mein­ten sie, wir könnten es uns geschäftlich nicht erlauben, dass das bei uns bekannt wird", erklärt Heiner, der in Hildesheim aufgewachsen ist. Klaus erinnert sich an seinen Vater: "Er meinte, so welche wie ich gehören ins KZ." Wolfgang weist darauf hin, dass er 1970 noch nicht offen in schwuler Partnerschaft leben und als Lehrer Karriere machen konnte. ...

Text: Sabine Szameitat (HAZ 14.02.2001)